An Heilig Abend wird einmal im Jahr in der christlichen Religion die Geburt des Lichtes gefeiert. Dabei wird das Licht genau genommen jeden Tag aufs Neue geboren. Nämlich wenn die Sonne am Morgen aufgeht. Doch wie so oft, wenn sich etwas regelmäßig wiederholt, wird es uns zur Gewohnheit und es verliert damit seine anfängliche Faszination. Dazu kommt die Tatsache, mag es einige Sorgen, Ängste und Bedenken in unserem Leben geben, eines ist immer sicher – die Sonne geht an jedem Morgen auf. Dies ist eine feststehende Größe, auf die wir uns immer verlassen können. Wozu also dem Sonnenaufgang und der Sonne selbst weitere Gedanken und Aufmerksamkeit widmen ?
Als gebürtige Bulgarin bin in der Hauptstadt Sofia aufgewachsen und diese liegt als einzige Hauptstadt Europas am Fuße eines Gebirges. Dem Vitoscha Gebirge, das ein erloschener Vulkan ist. Die unmittelbare Nähe des Berges beeinflusst maßgeblich das Wetter und die Temperatur während der Nacht. Diese sinkt, sobald die Sonne untergeht, rapide ab. Das fällt im Sommer nicht so auf, doch im Winter, insbesondere wenn Schnee auf den Gipfeln liegt, ist dies ganz extrem.
Zum besseren Verständnis sollte ich vielleicht erklären, dass es im Haus meiner Kindheit keine Fernheizung gab, sodass ein Kälteabfall im Außen, während der Nacht, auch im Inneren deutlich zu fühlen war. So erinnere ich mich, dass es Zeiten gab, in denen ich vor Kälte abrupt wach wurde. Nahezu um die gleiche Zeit. Und ich sehnte mich aus tiefstem Herzen danach, dass endlich die Sonne aufgehen möge, damit es wieder etwas wärmer wird. Ich erinnere mich genau, wie ich bibbernd unter der Bettdecke lag und nur einen einzigen Gedanken hatte – wann geht die Sonne endlich wieder auf. Später, als Erwachsene wurde mir bewusst , dass genau dies immer der Moment kurz vor dem Sonnenaufgang gewesen ist, den ich gespürt habe. Der Moment, in dem die Nacht am kältesten und auch am dunkelsten ist.
Doch mein kindliches Herbeisehnen nach dem lebensspenden Licht war nichts im Vergleich zu dem, wie ich es später im Beisein von Tieren in der Natur erlebt habe.
Das allererste Mal, als es passierte befand ich mich mit meiner Tochter am Schwarzen Meer. Abend für Abend saßen wir am Strand und bewunderten den Sonnenuntergang mit seinen majestätischen Klängen und satten Farben. Ein Spektakel, das an Größe und Erhabenheit seinesgleichen sucht. Die Würde, mit der die Sonne sich verabschiedet, um dem Nachthimmel den Vorrang zu überlassen ist unnachahmlich und lässt sich in Worten nur ungenau beschreiben. Einen Tag bevor wir unseren Urlaub beendeten, dachte ich bei mir: Na gut, jetzt habe ich Abend für Abend die Sonne verabschiedet und nicht ein einziges mal ihre Ankunft begrüßt. Wie mag es sich anfühlen, wenn die Nacht weichen muss, um dem goldenen Licht der Sonne für diesen Tag die Herrschaft zu überlassen?
Gesagt getan. Am nächsten Tag stellte ich mir für den frühen Morgen einen Wecker. Zu einer Zeit, die absolut nicht meinem gewohnten Bio – Rhythmus entsprach. Das Aufstehen fiel mir dadurch sehr schwer, ich musste mich dazu zwingen das gemütliche Bett zu verlassen, anstatt seelig weiter zu schlafen. Doch ich hatte ein Ziel. Ich wollte den Sonnenaufgang erleben.
Als ich das Hotel verlies, lag eine ganz spezielle Stille und Kälte in der Luft, die ich gut aus meiner Kindheit kannte. Ich durfte keine Zeit verlieren. Es würde nicht mehr lange dauern. Um das besondere Ereignis mit allen Sinnen genießen zu können, wollte ich unbedingt allein sein. Darum lenkte ich meine Schritte in eine Bucht, die weitab vom Touristenstrand lag. Es war noch dunkel. Es gab keinen Weg und ich konnte nicht genau sehen, wohin ich trat. Dabei folgte ich meinem Gehör und ging dorthin wo das Wellenrauschen leise raunte. Der Grund unter meinen Füßen war uneben, ich musste bei jedem Schritt ganz aufmerksam sein, um nicht an einem Stein umzuknicken. Es war ja Sommer und ich trug leichte Sandalen an meinen Füßen. Kurz fragte ich mich, ob es nicht gefährlich werden könnte. Was, wenn ich auf eine Schlange trete? Oder auf etwas anderes Giftiges?
Das Meer lag wie ein dunkles Ungeheuer vor mir, lauernd und unberechenbar wie die Nacht selbst. Es roch nach Salz, Jod und Algen. Überall um mich herum war Dunkelheit, die in dichten Schleiern an mir klebte. Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Es war unmöglich genau zu erkennen wo ich stand und was sonst noch außer mir dort ist. Also suchte ich mir einen sicheren Stand und wurde still. In meinem Kopf war nur ein einziger Gedanke: Wie fühlt es sich an, wenn ich etwas erlebe, was ich noch nie vorher erlebt habe, in dieser mir unbekannten Umgebung, an einem mir unbekannten Ort?
Alles in mir war ganz aufmerksam, meine Sinne ganz offen und eine erregende Erwartung machte sich bemerkbar.
Nach kurzer Zeit vernahm ich plötzlich Stimmen in der Dunkelheit. Verschiedene Stimmen, viele Stimmen. Sie kamen von überall her und sie alle sprachen die gleichen Worte: Die Sonne geht gleich auf, die Sonne geht gleich auf! Ich fühlte wie sich die Erregung in mir und um mich herum verdichtete, an Intensität zunahm und mich eine Anspannung, wie vor einem Höhepunkt erfasste.
Die Sonne geht gleich auf ! Die Sonne geht gleich auf ! Die Sonne geht gleich auf !
Es dauerte nicht lange und es ertönte ein Ton, wie ein langgezogener Trommelwirbel aus einem Siegesmarsch und die Sonnenkutsche kam durch ein Tor aus rosa – violettem Licht empor. Ich fühlte wie ein Aufatmen und eine Entspannung sich ausbreitete. Auch in mir. Es ist vollbracht !
Endlich konnte ich jetzt meine Umgebung betrachten. Ich schaute mich um und traute meinen Augen nicht. Dicht um mich herum wimmelte es von Tieren und Vögeln. Ich stand inmitten einer Parade von Krebsen, Eidechsen, Möven und anderen Vögeln. Einige von ihnen waren direkt neben meinen Füßen. Die meisten von ihnen hüpften aufgeregt auf der Stelle, alle schauten sie in die Richtung der aufgehenden Sonne.
Dabei sangen sie feierlich: Die Sonne, die Sonne, die Sonne ist aufgegangen!
Da war so eine unermessliche Freude, so eine tiefe Dankbarkeit und Hingabe in diesem Moment. Und so viel Verbundenheit. Verbunden mit der Erwartung das alltägliche Wunder, die Geburt des Lichtes zu erleben. Und mit allem was ist.
Viele, viele Jahre später erlebte ich es erneut.
Ich war zu einer Geburtstagsfeier mit Übernachtung im Grünen eingeladen. Während die meisten sich im Haus zum Schlafen legten, zog ich es vor im Schlafsack im Freien zu bleiben. Es war Sommer und der Augusthimmel von Sternen übersät. Was gibt es Schöneres, als die Erde unter sich zu spüren, dabei die Augen auf den Himmel zu richten und mit dem Gras zusammen zu atmen. Geborgen in den Armen der Natur schlief ich tief und fest ein.
Wach werde ich, weil ich Stimmen direkt an meinem Ohr höre. Und der mir bereits bekannte Satz: Die Sonne geht gleich auf, die Sonne geht gleich auf. Oh nein, dachte ich. Viel zu früh zum Aufstehen. Es ist ja noch stockdunkel. Doch die Stimmen werden lauter. Es fühlt sich an, als würde ein Ameisenchor lauthals singen. Und die Grashalme stimmen mit ein: Die Sonne geht gleich auf, die Sonne geht gleich auf !
Noch ganz schlaftrunken hebe meinen Kopf, um zu schauen, ob die Sonne schon am Horizont zu sehen ist. Doch was ich sehe ist ein kleiner weißer Fleck, der in der Dunkelheit wie von Zauberhand geführt hin und her schwebt. Von einer Seite zur anderen. Sehr unheimlich! Schlagartig bin ich hell wach und suche in meinem Kopf nach einer logischen Erklärung. Doch ich finde keine. Und vor mir, in wenigen Metern Entfernung schwebt geisterhaft ein kleines weißes Etwas in der Luft. Und ich fühle eine Erregung…Und ich tröste mich damit, dass sobald die Sonne aufgeht, der Spuk sicher vorbei sein wird und es schwebt nichts mehr….
In diesem Moment geht die Sonne auf. Meine Hoffnung, dass die Erscheinung bei Licht verschwindet, erfüllt sich. Denn was ich sehe ist, dass der weiße Fleck die Blesse eines dunklen Pferdes ist, das sich dem Sonnenaufgang entgegensehnt. Dabei läuft das Tier aufgeregt von einer Seite zur anderen, so sehr freut es sich auf das bevorstehende Ereignis. Die Sonne geht gleich auf ! Die Geburt des Lichts !
Ich danke den Tieren und der Natur selbst, von der wir so viel lernen können. Durch sie können wir uns erinnern. An die unbändige Freude in uns, die jeden Augenblick zur Kostbarkeit macht. Und die das Selbstverständliche besonders macht. Dankbarkeit und Freude entzündet das Licht in jedem von uns und wärmt die Welt.
Feiere dich und dein Leben, denn du bist einzigartig und wertvoll.
♥ Schöne Wunderzeit wünsche ich ALLEN ♥
Herzlich bedanke ich mich ebenso bei dem Künstler Ramon Labusch, dessen Werk ich freundlicherweise als Titelbild verwenden durfte. Er zaubert mit ganz normalen Farben Licht auf der Leinwand. Wer sich seine Galerie an Energiebildern anschauen möchte http://www.ramonlabusch.com
Wunderschön! Liebe Ekaterina, danke für deinen wundervollen Text! „ Die Sonne geht bald auf!“, symbolisch und auch konkret ist es ein alltägliches Wunder und doch vergessen wir es zu würdigen.
Ich danke dir und freue mich vom Herzen, dass es dir gefällt, liebe Eleni. Wie schön, dass du den tieferen Sinn dahinter erkennen kannst. Ich selbst habe in diesem Moment so viel verstanden. Auch, dass lauwarm leben, am Leben vorbei leben ist. Nur wenn wir die Einzigartigkeit der Wunder, die uns umgeben feiern können und dafür brennen, sind wir wirklich lebendig !
Liebe Ektaterina, wie wundervoll geschrieben, vielen Dank! Ich habe es auch ein paar Mal gemacht, zum Sonnenaufgang im Sommer in der Natur zu sein. Direkt im Wald, oder am Meer. Es ist einfach nur magisch. Die wundervollste Zeit des Tages, und so oft verpassen wir sie… Die Wiederankunft des Lichtes ist das großartigste, was es geben kann.
Herzlichen Dank, lieber Andreas. Wie schön deine Zeilen und das Unsagbare dahinter zu lesen. Es freut mich sehr, dass du diese tiefe Verbindung und Dankbarkeit zur Natur hast. Darin liegt nicht nur ein großer Segen und Kraft, sondern auch eine unermessliche Freude. Die dir ganz offenslichtlich vertraut ist ♥